
IMPRESSUM – DATENSCHUTZ – AGB
Die Blaue Bibliothek erhebt sich wie ein stiller Wächter über den glitzernden Kanälen von Kerodesh, der sagenumwobenen Stadt, die selbst Legenden in den Schatten stellt.
Die Blaue Bibliothek von Kerodesh ist das pulsierende Herz der Nebellande – ein Ort, an dem Wissen und Geheimnisse verschmelzen. Ihre endlosen Hallen, erfüllt vom Flüstern alter Pergamente, bewahren das gesammelte Erbe vergessener Zeitalter. Doch die Bibliothek ist mehr als ein Archiv: Sie lebt, verändert sich und offenbart ihre Mysterien nur jenen, die ihrer würdig sind. Hier, wo die Realität selbst formbar scheint, beginnt jede Suche nach Wahrheit – und jeder Schritt birgt das Versprechen von Erkenntnis und Gefahr.
OT-Info – Alle Geschichten und Legenden aus der Blauen Bibliothek dürfen auf den Nebellande Veranstaltungen genutzt werden und dienen als Hintergrundinformation.
Die Wellen schlugen leise gegen die Hafenmauern von Meosaan, während sich die Stadt auf ihr bedeutendstes Fest vorbereitete. In dieser Nacht, so glaubte man, wandelte Mentron selbst unter seinem Volk, verborgen hinter einer Maske, um das Wesen der Liebe in all ihren Formen zu kosten. Von den Gassen bis hinauf zum gewaltigen Turm Herzdorn, in dem der Gott mitunter verweilte, flammten unzählige Laternen auf. Musik und Gelächter erfüllten die Luft, während maskierte Gestalten durch die Straßen schritten – Liebende, Fremde, jene, die ein Geheimnis bewahrten, und solche, die eines suchten.
Unter ihnen war Lorien, ein Dichter von bescheidenem Ruf, dessen Herz seit Jahren an eine Frau gebunden war, die er nie gesehen hatte. Sie hatte ihm Briefe geschickt, mit Worten so sanft und tief, dass sie ihn wie Lieder durch seine Nächte begleiteten. Sie nannte sich „Seraphis“, ein Name, der nicht echt sein konnte, und doch war er der süßeste Klang in Loriens Welt. Jahr für Jahr hatte er auf diesem Maskenball gehofft, ihr zu begegnen. Doch stets war sie ein Schatten geblieben – eine Berührung, ein geflüstertes Wort, ein Duft nach Jasmin in der Luft.
Dieses Mal, schwor er sich, würde er sie finden.
In den Hallen eines alten Palastes, wo silberne Lichter funkelten und Tänzer in dunklen Roben wie Geister über den Boden glitten, stand sie. Seraphis. Lorien erkannte sie nicht an ihrem Gesicht – das war hinter einer Maske verborgen, golden und mit feinen Adern durchzogen, als wäre sie aus purer Liebe geschmiedet. Nein, er erkannte sie an der Art, wie sie stand, wie sie die Fingerspitzen über den Rand ihres Weinglases gleiten ließ, wie ihr Blick über die Menge strich, als suche sie nach etwas Unveränderlichem in einer Welt aus flüchtigen Momenten.
Er trat zu ihr. „Wenn ich in tausend Leben suchen müsste – ich wüsste dich immer zwischen allen anderen.“ Sie drehte sich langsam zu ihm um. Ihre Augen – schwarz wie die tiefsten Tiefen des Ozeans – ruhten auf ihm. „Dann sei vorsichtig mit deinen Wünschen“, sagte sie leise. „Manchmal verlieren wir das, was wir lieben, sobald wir es erkennen.“
Der Tanz begann. Ihre Hände fanden einander, und sie bewegten sich, als wäre die Musik nur für sie allein. Niemand in dieser Stadt kannte ihre wahren Gesichter, niemand wusste, ob sie Adelige oder Bettler, Helden oder Verräter waren. Nur in dieser Nacht zählte das nicht. „Warum zeigst du mir nicht dein wahres Gesicht?“, fragte Lorien, als der Tanz endete. „Warum willst du es sehen?“ „Weil ich dich liebe.“
Sie schloss für einen Moment die Augen. Dann nahm sie seine Hand und führte ihn fort, durch Gassen voller Flüstern, hinauf auf eine Brücke, von der aus man den Herzdorn sehen konnte – hoch über ihnen, als würde er die Sterne berühren. „Lorien“, sagte sie. Es war das erste Mal, dass sie seinen Namen aussprach. „Was, wenn ich nicht die bin, die du dir erträumst?“
Er trat näher. „Dann liebe ich dich für das, was du bist – nicht für das, was ich mir erhofft habe.“ Ein Zittern in ihren Fingern. Dann, langsam, hob sie die Hände zu ihrer Maske – und ließ sie fallen. Ein Windstoß trug sie davon, hinaus aufs Meer.
Lorien sah in ein Gesicht, das er kannte – und doch nie erwartet hatte. Seraphis war jemand, den er oft gesehen hatte, jemand, den er kannte, doch nie in dieser Weise betrachtet hatte. Eine Frau, die stets in seiner Nähe gewesen war, deren Name er gehört, aber nie mit dieser Sehnsucht verbunden hatte. Er öffnete die Lippen, um etwas zu sagen. Doch da ertönte in der Ferne eine Stimme – kein Schrei, kein Wort, sondern ein leises, melancholisches Lachen.
Ein Schatten huschte über die Brücke. Für einen Moment glaubte Lorien, eine Gestalt mit einer silbernen Maske zu sehen, verborgen in der Dunkelheit. Ein Mann, hochgewachsen, gekleidet in ein fließendes Gewand, das im Wind flatterte wie ein lebendiger Nebel. Sein Haar war von einem sanften Blond, das im fahlen Mondlicht schimmerte, seine Augen aber – kristallklar und von einem Blau, das tiefer war als jedes Wasser der Welt. Ein Spiel, ein Test. Ein Geschenk von Mentron selbst. Denn wahre Liebe, so sagte man in Meosaan, ist nicht das Finden eines Gesichts – sondern das Erkennen einer Seele. Und an diesem Abend hatte Lorien beides gefunden.